Poetische
Konzentration des Klavierspiels
Ein junger Solist konzertierte im Pfleghofsaal
Im vollbesetzten Pfleghofsaal fand ein höchst
bemerkenswertes Konzert eines jungen Pianisten statt, der mit einer ganz
individuellen Werkerfassung "Unerhörtes" bot. Der Name dieses
jungen Solisten ist Gerhard Eckle.
Dem Allgemeinen Studentenausschuß muß es gedankt werden, daß er sich des
jungen und von fesselnder Eigenwilligkeit geprägten Künstlers angenommen hat
und ihn zu einem Konzert einlud.
Eckle stellte sich mit einem Programm vor, das sowohl an spieltechnischer wie
an musikalisch-geistiger Anforderung gewaltig erschien, da es Werke von
komplexen pianistischen Schwierigkeiten waren, die zudem verschiedenen Zeit-
und Personalstilen angehören. Von Beethoven bis Janacek reichte das Gebotene,
von der spätklassischen Sonatenform bis zur freigestalteten programmatischen
Impression. Diese Buntheit der Klangbilder zu einer Einheit des Erlebnisses
werden zu lassen, das Programm über die potpourrihafte Zufälligkeit zu einer
geschlossenen Musikverkündung zu erheben, war eine hohe Aufgabe des
Interpreten - und sie gelang in wohl allen Teilen, vorzüglich durch sein
stärkstes Mittel: die ganz verdichtete Expressivität der lyrisch bestimmten
Aussage.
Die e-Moll-Sonate Opus 90 von Beethoven zu Beginn des Konzertes war
ein klingendes Exempel für profilierte Deutung, die in keine der vielen
Klischees anderer Notenumsetzer verfiel, dabei aber auch die Gefahren des
schöpferischen Nonkonformismus deutlich werden ließ, durch zuviel Reflexion
und Betonung des Details die Einheit des Satzes zu stören oder aufzulösen in
musikalisch-komprimierte Teileinfälle. Die Besonderheit dieser
Sonatendarstellung lag zudem in einer "romantisierenden"
Klangdifferenzierung ("Romantisieren ist nichts als eine qualitative
Potenzierung" - Novalis), in der Unterordnung aller tönenden Ereignisse
unter den unbedingt hervorragend ausgeführten Gesang des Diskants - das
singende Legato versteht dieser junge Pianist zu einer rein-cantablen
Bewegtheit und totalen musikalischen Erfüllung zu bringen.
Die Sonate a-Moll Opus 143 von Franz Schubert wurde zu einem Ereignis
dieser Darstellungsart, die das Einzelne mit seelischem Nachdruck zur
Plastizität zu erheben vermochte, wie auch die Klarheit der formalen
Gesamtanlage herauszukristallisieren. Das fabelhafte Piano-Spiel konnte stets
überzeugen, wogegen das Forte und Fortissimo bei Schubert noch recht
zurückgehalten schien - dafür feierte es später bei Mussorgskij
klangprächtige Triumphe.
Die zweite Hälfte des Abends brachte die Höhepunkte und den Beweis, daß Gerhard
Eckle ein gediegener Kammermusiker ist, dem keine Nuance der Komposition
entgeht. Die drei Stücke von Leos Janacek aus der Sammlung "Auf
verwachsenem Pfade" waren unübertrefflich in der Erfüllung jeder
Note, jeder dynamischen Raffinesse, jeder dynamischen Schattierung. In der
"Friedecker Mutter Gottes" konnte das singende Legatospiel Eckles
noch einmal seine ganze stille Herrlichkeit dartun. Die "Bilder einer
Ausstellung" von Mussorgskij wurden so von dem Pianisten
verwirklicht, als würde er die Ravelsche Instrumentierung nicht kennen -
darin liegt ein unbedingter Vorzug! Die Stücke erhoben sich weit über
impressionistische Illustrationen, alles wurde unparfümierter Ausdruck, jeder
Titel umschloß einen musikalischen Mikrokosmos. Bewundernswert der durchgehaltene
Aufwand an Spieltechnik und Kraft - nur hätte das rechte Pedal mit mehr
Sparsamkeit der Hallwirkungen bedient werden sollen, zumal in "Hexe Baba
Yaga" und bei den oktavierten Tonleiterketten des letzten Bildes - man
hätte nahezu von einer der ungeheuer konzentrierten Musikalität adäquaten
Technik sprechen können.
Der tüchtige Beifall des Hauses bewog den Künstler zu drei fast
aphoristischen Zugaben Schubertscher
Tänze. hw
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