Erste Konzertkritik

Der Musikwissenschaftler Helmut Weidhase schrieb im Schwäbischen Tagblatt vom 16. März 1962 folgende Kritik:

Poetische Konzentration des Klavierspiels

Ein junger Solist konzertierte im Pfleghofsaal

Im vollbesetzten Pfleghofsaal fand ein höchst bemerkenswertes Konzert eines jungen Pianisten statt, der mit einer ganz individuellen Werkerfassung "Unerhörtes" bot. Der Name dieses jungen Solisten ist Gerhard Eckle.
Dem Allgemeinen Studentenausschuß muß es gedankt werden, daß er sich des jungen und von fesselnder Eigenwilligkeit geprägten Künstlers angenommen hat und ihn zu einem Konzert einlud.

Eckle stellte sich mit einem Programm vor, das sowohl an spieltechnischer wie an musikalisch-geistiger Anforderung gewaltig erschien, da es Werke von komplexen pianistischen Schwierigkeiten waren, die zudem verschiedenen Zeit- und Personalstilen angehören. Von Beethoven bis Janacek reichte das Gebotene, von der spätklassischen Sonatenform bis zur freigestalteten programmatischen Impression. Diese Buntheit der Klangbilder zu einer Einheit des Erlebnisses werden zu lassen, das Programm über die potpourrihafte Zufälligkeit zu einer geschlossenen Musikverkündung zu erheben, war eine hohe Aufgabe des Interpreten - und sie gelang in wohl allen Teilen, vorzüglich durch sein stärkstes Mittel: die ganz verdichtete Expressivität der lyrisch bestimmten Aussage.

Die e-Moll-Sonate Opus 90 von Beethoven zu Beginn des Konzertes war ein klingendes Exempel für profilierte Deutung, die in keine der vielen Klischees anderer Notenumsetzer verfiel, dabei aber auch die Gefahren des schöpferischen Nonkonformismus deutlich werden ließ, durch zuviel Reflexion und Betonung des Details die Einheit des Satzes zu stören oder aufzulösen in musikalisch-komprimierte Teileinfälle. Die Besonderheit dieser Sonatendarstellung lag zudem in einer "romantisierenden" Klangdifferenzierung ("Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung" - Novalis), in der Unterordnung aller tönenden Ereignisse unter den unbedingt hervorragend ausgeführten Gesang des Diskants - das singende Legato versteht dieser junge Pianist zu einer rein-cantablen Bewegtheit und totalen musikalischen Erfüllung zu bringen.

Die Sonate a-Moll Opus 143 von Franz Schubert wurde zu einem Ereignis dieser Darstellungsart, die das Einzelne mit seelischem Nachdruck zur Plastizität zu erheben vermochte, wie auch die Klarheit der formalen Gesamtanlage herauszukristallisieren. Das fabelhafte Piano-Spiel konnte stets überzeugen, wogegen das Forte und Fortissimo bei Schubert noch recht zurückgehalten schien - dafür feierte es später bei Mussorgskij klangprächtige Triumphe.

Die zweite Hälfte des Abends brachte die Höhepunkte und den Beweis, daß Gerhard Eckle ein gediegener Kammermusiker ist, dem keine Nuance der Komposition entgeht. Die drei Stücke von Leos Janacek aus der Sammlung "Auf verwachsenem Pfade" waren unübertrefflich in der Erfüllung jeder Note, jeder dynamischen Raffinesse, jeder dynamischen Schattierung. In der "Friedecker Mutter Gottes" konnte das singende Legatospiel Eckles noch einmal seine ganze stille Herrlichkeit dartun. Die "Bilder einer Ausstellung" von Mussorgskij wurden so von dem Pianisten verwirklicht, als würde er die Ravelsche Instrumentierung nicht kennen - darin liegt ein unbedingter Vorzug! Die Stücke erhoben sich weit über impressionistische Illustrationen, alles wurde unparfümierter Ausdruck, jeder Titel umschloß einen musikalischen Mikrokosmos. Bewundernswert der durchgehaltene Aufwand an Spieltechnik und Kraft - nur hätte das rechte Pedal mit mehr Sparsamkeit der Hallwirkungen bedient werden sollen, zumal in "Hexe Baba Yaga" und bei den oktavierten Tonleiterketten des letzten Bildes - man hätte nahezu von einer der ungeheuer konzentrierten Musikalität adäquaten Technik sprechen können.

Der tüchtige Beifall des Hauses bewog den Künstler zu drei fast aphoristischen Zugaben Schubertscher Tänze.         hw